Im Land der Heringsfänger

Heringsfängermuseum in Petershagen-Heimsen

Man darf ruhig stutzen, wenn man im äußersten Nordosten von NRW an einem Wegweiser mit der Aufschrift „Heringsfängemuseum“ vorbeikommt. Heringsfänger mitten im Binnenland? Sollte man da nicht eher an stürmische Salzwasserwogen und hochseetaugliche Schiffe denken? In der Tat – und trotzdem spinnt das ostwestfälische Museum im Petershäger Ortsteil Heimsen kein Seemannsgarn, wenn es behauptet, mitten im Heringsfängerland zu liegen. Denn der Landstrich an der mittleren Weser, nördlich von Minden, war einst die Heimat von Männern, die alljährlich in der Nordsee die Netze nach dem „Karpfen der Armut“ auswarfen. Sie bildeten sogar einen Großteil der Besatzungen, die für die Fischereigesellschaften fuhren. 

„Kennst Du die See, wo selten die Sonne lacht? Wo man aus Menschen Seeleute macht? Wo man vergisst Moral und Tugend? Das ist die Nordsee, das Grab meiner Jugend.“ So hat es jemand auf einen Ölrock geschrieben, der im Heringsfängermuseum gezeigt wird. Die düsteren Verse spiegeln die harte und gefährliche Arbeit auf einem Logger wider, einem Fangschiff. Viele Männer – oft noch nicht einmal 20 Jahre alt – fanden dabei tatsächlich ein nasses Grab. Doch ausgefahren waren sie natürlich nicht, um zu sterben, sondern ganz im Gegenteil, um ihr Überleben zu sichern, weil es zu Hause nicht genug Verdienstmöglichkeiten gab.

Vom Netz ins Fass

Begonnen hatte alles mit der „Hollandgängerei“: Männer aus den ländlichen Unterschichten, die über wenig oder gar kein Land verfügten – Kleinstbauern, Tagelöhner und Knechte – gingen seit dem 17. Jahrhundert immer häufiger als saisonale Wanderarbeiter in die Niederlande, um sich als Torfstecher, Grasmäher oder Ziegelmacher zu verdingen. Nicht wenige heuerten auch auf den niederländischen Heringsfangschiffen an, den sogenannten „Buysen“. Rund anderthalbtausend von diesen Vorläufern der Logger gab es in den Niederlanden um 1670. Der Hering war ein lukratives Geschäft, denn abgesehen vom „Stockfisch“ – sprich: Trockenfisch, meist Kabeljau – war er der einzige Meeresfisch, der sich damals konservieren und ins Binnenland transportieren ließ. Im Museum wird detailliert erläutert, wie in der niederländischen Flotte die Heringsverarbeitung durch das Schlachten und Salzen direkt auf den Fangschiffen revolutioniert wurde: Dem Kehlschnitt mit dem „Kaakmesser“ folgte unmittelbar das Herausziehen des größten Teils der Eingeweide. Dann wurde Salz über die Heringe geschaufelt, die man anschließend in Fässern verpackte. Im Gegensatz zur traditionellen schottischen oder norwegischen Methode, bei der die Tiere an der Luft erstickten und danach unausgenommen in die Fässer gelangten, sorgte dieses Verfahren für weißes, festes und haltbares Fleisch. Das Gütesiegel „seegekehlter und seegesalzener Hering“ war noch im 20. Jahrhundert lange gebräuchlich.

Die große deutsche Heringsfischerei

Im späten 19. Jahrhundert gingen die Männer aus dem Heringsfängerland immer seltener in Holland an Bord. Seit der Gründung des Deutschen Reichs von 1871 arbeiteten sie stattdessen meist für deutsche Fischereigesellschaften, die man unter dem Begriff „Große Deutsche Heringsfischerei“ zusammenfasste und deren Haupthäfen Bremen-Vegesack und Emden waren. Erst in den Wirtschaftswunderzeiten nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es immer schwerer, Menschen aus dem Binnenland für die Fangreisen zu gewinnen. Kurios klingt heute eine Anzeige der ostwestfälischen Arbeitsämter von 1956: „Wer Lust zur Seefahrt hat und das weite Meer liebt, sollte Heringsfänger werden. Das ist zwar kein Beruf für Muttersöhnchen, aber er ist wie geschaffen für Jungen, die sich etwas zutrauen und in die Welt passen.“ Der Werbeeffekt blieb gering, zumal noch im gleichen Jahr der Untergang des Loggers „Adolf“ mit 18 Todesopfern die Gefahren des Berufs erneut unterstrich. Das Heringsfängerland wurde allmählich Geschichte.

Stand der Angaben: Stiftungsmagazin 2014/2

Unser Engagement
Die NRW-Stiftung unterstützte den Verein Heringsfängermuseum Heimsen e. V. bei der Einrichtung der Ausstellungsräume und der Herausgabe eines Museumsbuches.


Standort

Heringsfängermuseum
Am Mühlenbach 9
32469 Petershagen
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